Wie gelingt es, eine fast ausgestorbene Paprikasorte auf Mallorca zu rekultivieren? Mit verantwortlich dafür ist die Köchin und ehemalige Vorsitzende von SlowFood auf den Balearen, Maria Solivellas. Seit Jahren gelten sie und ihr Team im Restaurant Ca Na Toneta als Beispiel für nachhaltige und regionale Küche auf höchstem Niveau. Wir haben unsere Freundin vor Ort besucht und uns die Geschichte noch einmal aus erster Hand erzählen lassen.
In jedem Ende liegt ein neuer Anfang.
Maria Solivellas ist die Managerin eines berühmten spanischen Tänzers. Die Geschäfte laufen gut und in Kürze wird sie das New Yorker Büro des Tänzers leiten. Mit gepackten Koffern, bereit zum Abflug, erreichen sie auf dem Weg zum Flughafen in Madrid erste Schreckensmeldungen aus New York. Es ist der 11. September 2001, Tag der Terroranschläge auf das World Trade Center, bei dem über 3000 Menschen ihr Leben verloren. Als das Ausmaß der Katastrophe im Laufe der kommenden Tage klarer wurde, stellte sich Maria darauf ein, vorerst noch einige Tage in Spanien zu bleiben. Sie beschloss, in der ihr nun zur Verfügung stehenden Zeit, im Restaurant ihrer Mutter zu helfen. Aus den Tagen wurden Wochen und schließlich entschied sich Maria auf Mallorca zu bleiben und das Geschäft ihrer Eltern zu übernehmen. Ohne dieses fürchterliche Ereignis in den USA wäre es wohl nie dazu gekommen.
Das Restaurant Ca Na Toneta
Wir befinden uns im kleinen Städtchen Caimari am Fuße des Tramuntana-Gebirges. In einer Seitenstraße entdeckt man das unscheinbare Haus mit dem Schriftzug Ca Na Toneta. Gemeinsam mit ihren beiden Schwestern und einem kleinen Team bewirtet Maria ihre Gäste zur Mittagszeit und Abends.
Mit leicht eingezogenem Kopf steige ich die Stufe hinab durch die Türe ins Restaurant. Die liebevolle Kombination rustikaler Wände, handgeformten Geschirrs mit weißen Tischdecken und gelebter Herzlichkeit faszinierten mich von der ersten Minute an.
FYI - Nur zu Ihrer Information
Die Speisekarte im Ca Na Toneta dient eher zur gedanklichen Vorbereitung, als zur Auswahl des Essens. Gegessen wird, was auf den Tisch kommt. Serviert werden wöchentlich neue Tasting-Menüs aus 6 verschiedenen Gängen.
Jede Zutat stammt entweder aus dem Garten hinterm Haus oder von ausgewählten Produzenten auf der Insel. So auch der Fisch, der Maria auf dem Markt so gut gefallen hat, dass wir ihn in 3 von 6 Gängen unseres umwerfenden Menüs wiederfinden. Mir gefällt der Gedanke, dass außer dem Fischer auf seinem Kutter, Maria in der Küche und uns niemand etwas mit diesem Fisch zu tun gehabt hat. Mit dieser regionalen, sinnlichen, ökologischen Qualität waren alle Voraussetzungen für Genuss nach dem Prinzip von Slowfood erfüllt. Nach dem letzten Gang fühle ich mich zufrieden und angenehm satt, das befürchtete Suppenkoma bleibt aus.
Maria bindet die Küchenschürze ab und setzt sich zu uns. Bei einem guten Glas Rotwein erfahren wir, wie es gelang dem Paprika auf Mallorca neues Leben einzuhauchen.
„Eigentlich war das ein ziemlich verrücktes Unterfangen, aber so sind wir nun mal.“
Tap de Corti - Eine Tradition kehrt zurück.
Die Geschichte beginnt mit der traditionellen mallorquinischen Streichwurst Sobrassada. Diese besteht zum größten Teil aus Schwein und rotem Paprikapulver, das als Farb-, Konservierungs- und Geschmacksstoff der Wurst dient. „Was ist jedoch traditionell an dieser Wurst, wenn die Schweine aus Rumänien und der Paprika aus Marokko kommen?“, fragten sich Maria und Laura. Als Vorsitzende der Slowfood-Bewegung auf den Balearen war es ihnen wichtig dieses kulinarische Kulturgut wieder authentisch werden zu lassen. Dazu gehört natürlich die autochthone Paprika-Sorte Tap de Corti.
Wenn es gelingt, die Sobrassada wieder vollständig auf der Insel herzustellen, stiftet das Identität und erhält einen großen Teil kulinarischen Kulturguts Mallorcas. Die Idee der beiden Frauen glich zudem einer kleinen Revolution gegen die Agrarindustrie, da die Bauern durch die Schaffung einer eigenen Marke die Gelegenheit bekommen, ein traditionelles Inselprodukt durchgängig selbst herzustellen und zu vertreiben.
Der Import billiger Zutaten vom Festland führte dazu, dass der Paprika nicht mehr von den Bauern auf der Insel angebaut wurde. Damit verblasste die Tradition immer mehr und verschwand fast vollkommen aus dem Bewusstsein. Mit ihr auch das kostbare Saatgut der einheimischen Sorte.
Doch auf der Finca eines alten Farmers wurden Maria und Laura fündig. Mit wenigen Samen des Tap de Corti zogen die beiden ca. 4000 Jungpflanzen heran. Nun galt es einige Landwirte zu finden und sie von dem Projekt zu begeistern. Auf ihrer Suche stieß Maria auf den Ökolandwirt Joan Adrover. Seit über 25 Jahren bewirtschaftet er seine Finca Sa Teulera in der Nähe von Manacor rein ökologisch. Als einer der Ersten war Joan sofort begeistert und bereit den Paprika wieder anzubauen. In der Zeit zwischen Mai und August reiften also die ersten Schoten auf seinem Feld.
Die nächste Herausforderung war der Weiterverarbeitung. Um den Paprika haltbar zu machen, muss dieser getrocknet werden. Bis in die 70er Jahre geschah dies, aufgefädelt an einem Faden durch den Strunk, an den Häuserwänden in den Dörfern Mallorcas. Nach zehn Tagen in der Sonne sind die Schoten soweit vom überschüssigen Wasser befreit, dass sie anschließend gemahlen werden können. Das wunderbare Bild rot behangener Häuser wollte Maria gern wieder entstehen lassen. Einziges Problem: Die helfenden Hände, um die Schnüre aufzufädeln. Zur Erntezeit Ende August hat niemand Zeit dafür oder alle sind verreist. Fast alle.
„Also brauchen wir die Leute, die nichts zu tun haben und immer da sind!“
Maria fuhr also jeden Morgen mehrere Kisten Paprika ins Gefängnis der Insel und holte abends die fertigen Schnüre ab. Zur Verkostung gab es mit Sobrassada bestrichenes Brot, einmal aus dem Supermarkt, einmal komplett aus eigener Herstellung. Erfahrungen sind eben die stärksten Argumente.
Anmerkung: Die Trocknung der Paprikaschoten erfolgt aus hygienischen Gründen heutzutage in Trockenkammern.
Nach Überspringen dieser Hürde musste der Paprika noch gemahlen werden, doch auf der Insel gab es keine passende Steinmühle mehr. Eine glückliche Synchronisation der Ereignisse brachte Maria in Kontakt mit der Innovationsministerin der Insel. Auf diese redete Maria solange ein, bis sie einwilligte die 12.000€ für den Kauf einer neuen Steinmühle zu finanzieren:
„Ok, ich geb euch die Kohle für die Mühle!“
Von deren richtiger Bedienung hatte Anfangs natürlich auch niemand Ahnung. Um die Qualität des Paprika nicht zu gefährden, holte sich das Team Expertise vom Festland. In Murcia kannte man sich mit der Weiterverarbeitung getrockneter Früchte aus. Maria erinnert sich: „Wir mussten mit verdammt vielen Leuten irgendwelche Deals machen, damit alles klappt“.
Vier mal wurde das Paprikapulver schließlich im Labor getestet. Niemand hatte eine Erklärung für die ungewöhnlich hohen Werte der Antioxidantien und Vitamine. Heute weiß man, dass es an der alten Sorte Tap de Corti liegt.
Bereits im zweiten Jahr verkauften einige Bauern ihre Paprikaschoten direkt nach der Ernte an die Industrie ohne sie weiter zu verarbeiten. Maria zog sich daraufhin von dem Vorhaben zurück und resümiert: „Unser Ziel, eine eigene Marke zu schaffen, an der sich alle Bauern beteiligen können, ist an der Mentalität der Menschen gescheitert.“
Unser Erzeuger Joan jedoch baut bis heute den Tap de Corti auf seinen Feldern an und verarbeitet ihn vom Samenkorn bis zum fertigen Pulver. Mehr dazu
Es ist Maria und Laura zu verdanken, dass wieder Paprika auf der Insel angebaut wird und wir dieses großartige Gewürz direkt vom Feld anbieten können. 10 Jahre später hätte sich niemand mehr auf der Insel daran erinnert, dass Paprika auf Mallorca angebaut wurde.
Bildrechte:
- Maria Solivellas (Bild 1,2,3,4) und
- Oliver Brenneisen (Bild 6,7)